23.06.2018: Zweibrücker Nazi-Vergangenheit wird erforscht

Zweibrücker Nazi-Vergangenheit wird erforscht

Der Zweibrücker Jens Reinke will in seiner Doktorarbeit die Zeit des Nationalsozialismus in Zweibrücken aufarbeiten. Wie berichtet, kam im März im Kulturausschuss der Stadt die Idee auf, einen Doktoranden mit dieser Aufgabe zu betrauen. „Das Thema ist brutal spannend“, zeigt sich Reinke begeistert.

Kulturdezernent Henno Pirmann und Stadtarchivleiterin Henno Pirmann hatten im Kulturausschuss den Vorschlag Ingrid Kaisers (FDP) aufgegriffen, eine Dokumentation der Zeit des Nationalsozialismus und ihrer Folgen zu erstellen (wir berichteten am 24. März). Mit Jens Reinke hat sich ein Historiker gefunden, der sich dieser Aufgabe stellt.

Derzeit recherchiert der Zweibrücker vor allem im Landesarchiv Speyer, wo viele Akten – etwa der Geheimen Staatspolizei (Gestapo) – über Zweibrücken und seine Bewohner lagern. Den Inhalt konnte Reinke bisher nur teilweise sichten, er sei aber bereits über einige bekannte Namen gestolpert. Die Akten gäben Auskunft über Mitglieder der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP), aber auch über Gegner und Opfer der Nazis.

JVA hat wohl wichtige Rolle gespielt

Auch über das Zweibrücker Gefängnis gebe es einige Unterlagen. Die Justizvollzugsanstalt habe wohl eine wichtige Rolle gespielt. So sei Otto Lurka in Zweibrücken Gefängnisbeamter gewesen. Er hatte zuvor im Gefängnis Landsberg gearbeitet − zu der Zeit, als Adolf Hitler dort einsaß. Lurka habe unter anderem ein Buch über Hitlers Haftzeit geschrieben und vielleicht im Zweibrücker Gefängnis die Verbreitung der nationalsozialistischen Ideologie vorangetrieben, mutmaßt Jens Reinke.

Der Zweibrücker NSDAP-Ortsverband sei bereits in den frühen 20er Jahren gegründet und danach für zwei Jahre verboten worden, ehe er wieder auflebte, so Reinke. Die Nazis hätten in Zweibrücken „einen unheimlichen Zulauf“ und gute Wahlergebnisse gehabt.

Hinweise auf Zwangssterilisationen

Wie der Historiker berichtet, brachten französische Soldaten aus dem Maghreb 1923 politische Gefangene nach Zweibrücken und trieben sie mit Knüppeln vom Bahnhof zum Gefängnis. Die farbigen Männer, die deutsche Gefangene transportierten, seien den Stadtbewohnern damals negativ aufgefallen, und es hätten sich Patenschaften für die Gefangenen gebildet: Die Zweibrücker unterstützten und versorgten die Häftlinge. Das Gefängnis habe aus mehreren Gebäuden bestanden. Eines sei dem Schloss angegliedert gewesen, berichtet Reinke. Es gebe Hinweise darauf, dass dort Gefangene sterilisiert wurden. Es ging laut Reinke um „alles, was das deutsche Ideal hätte beschränken können“.

Reinke will nach Erklärungen dafür suchen, dass die Nazis in Zweibrücken stark waren. Das genaue Thema der Doktorarbeit stehe noch nicht fest. Das könne er erst nach einer gründlichen Sichtung der Akten festlegen. Reinke ist mit seiner Arbeit bereits als Doktorand an der Universität Saarbrücken registriert. Dietmar Hüser wird sein Doktorvater sein.

Ehrenamtlicher Arbeitskreis von Glück gewünscht

Wie mehrfach berichtet, hatte der von der RHEINPFALZ aufgedeckte Fall des früheren Bipontina-Leiters Hans Woelbing in Zweibrücken für Aufregung gesorgt und gezeigt, dass die Nazizeit in der Stadt nie gänzlich aufgearbeitet wurde. Obwohl die Idee, einen Doktoranden mit dem Thema zu betrauen, aus dem Kulturausschuss kam, fühlt sich die Stadtverwaltung nicht zuständig, wie Pressesprecher Heinz Braun erklärt. Die Verwaltung werde Reinkes Arbeit wohl nicht finanziell unterstützen.

Charlotte Glück, Leiterin des Stadtarchivs, spricht von der Möglichkeit, Geld aus Fördertöpfen zu beantragen, um dem Doktoranden etwa einen Reisekostenzuschuss zu gewähren. Die Aufarbeitung der Nazizeit sei wichtig für Zweibrücken; die Stadt habe großes Interesse daran. Es sei „ein ganz, ganz umfassendes Gebiet“.

Glück spricht sich zudem erneut für einen Arbeitskreis aus, der sich des Themas ehrenamtlich annimmt, zusätzlich zu Reinkes Doktorarbeit. Das sei aber schwierig, denn die Ehrenamtlichen müssten in der Archivarbeit geschult sein. Zudem fänden sich in Zweibrücken keine Unterlagen. Die Forschenden müssten nach Speyer und Berlin reisen, um Akten zu untersuchen.