05.10.2018 „So was wie in Chemnitz ist hier nicht möglich“

„So was wie in Chemnitz ist hier nicht möglich“

Saarbrücken. Ausländer und Deutsche: Eine stabile Zivilgesellschaft schafft die Integration in Saarbrücken. Davon sind zwei Experten überzeugt.

Saarbrücken ist vielschichtiger als einst, für einige unübersichtlicher geworden. Ausschlaggebend dafür: Zuwanderung. Besonders verändert hat sich die Landeshauptstadt seit 2013, als der Zuzug von Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten drastisch zunahm.

„50 000 Menschen mit Migrationshintergrund leben hier“, sagt Veronika Kabis. Nach Angaben der Leiterin des kommunalen Zuwanderungs- und Integrationsbüros (ZIB) stammen sie aus 150 Nationen. Darunter seien 6500 syrische Flüchtlinge. Zum Vergleich: Ende 2017 lebten mehr als 183 000 Menschen in der Stadt.

Das macht Saarbrücken vielfältiger, verändert aber auch vorhandene Strukturen, ist Professor Dr. Dieter Filsinger überzeugt. Als Leiter der Forschungsstelle Gesellschaftliche Integration und Migration an der saarländischen Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) befasst er sich mit den Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Und? „Da gibt es durchaus eine Verunsicherung“, berichtet der Wissenschaftler. Das allerdings sei kein neues Phänomen. In der Geschichte habe es immer wieder Konflikte durch Zuwanderung gegeben. Immer dann, wenn Liebgewonnenem Veränderungen durch neue Einflüsse drohten. Dies sei heute nicht anders. Filsinger: „Aber es ist schwieriger geworden.“ Denn die Sprache als Reaktion darauf sei härter, insbesondere in sozialen Medien. Verlustängste trieben Menschen zu harschen Äußerungen an. Die Schnelllebigkeit trage außerdem dazu bei. „Verlässliche Zusammenhänge brechen weg. Menschen haben das Gefühl, dem nicht mehr gewachsen zu sein.“ Kabis pflichtet bei: „Es herrscht eine Beunruhigung. Aber eben nicht nur bei Deutschen, sondern auch unter Zugezogenen.“ So komme es zu gegenseitigen Vorurteilen. „Es ist die Angst vor dem, was man nicht kennt.“ Hier könne nur Bildung helfen, sagt Filsinger.

Beide sehen Chancen in der Internationalität Saarbrückens, die es schon seit den 1960ern gebe, als Gastarbeiter nach Deutschland kamen. Filsinger rät: „Wir müssen aufklären. Es gibt keine Alternative.“ Dazu gehöre auch Selbstkritik, was wir unter Anpassung verstehen. Die Aufgabe der eigenen Identität? Oder Sprachbarrieren abbauen? „Es muss Anpassung geben, ohne den individuellen Lebensstil aufzugeben.“

„So was wie in Chemnitz ist hier nicht möglich“, sagt Kabis. Das heißt: Sie rechnet nicht damit, dass sich rechtsextreme Ausschreitungen wie nach dem tödlichen Zwischenfall mit mutmaßlich ausländischer Beteiligung bei uns wiederholen. Die Expertin ist sich dessen sicher, weil das städtische Projekt Patchwork-City ihr viele positive Signale gebe. Dabei kommen Vereine, Institutionen und Privatleute zusammen, um herauszufinden, wie Menschen in Saarbrücken trotz aller Unterschiede zusammenleben können. Filsinger ist überzeugt: „Ich halte die Zivilgesellschaft für so stabil, dass die Mehrheit nach wie vor zur Migration steht.“