07.12.2017: Richter müssen wieder bei Null starten

Richter müssen wieder bei Null starten

Einer der umfangreichsten Neonazi-Prozesse in Deutschland muss wieder aufgenommen werden. Das Oberlandesgericht Koblenz hat die spektakuläre Einstellung des Verfahrens aufgehoben.

Das Landgericht Koblenz hatte das Mammut-Verfahren gegen die mutmaßlichen Neonazis des sogenannten „Aktionsbüros Mittelrhein“ im Mai nach 337 Verhandlungstagen eingestellt, weil der Vorsitzende Richter Hans-Georg Göttgen Ende Juni pensioniert wurde und es keinen Ergänzungsrichter mehr gab. Die Zeit, die der Prozess dauere und bei einer Neuaufnahme noch dauern werde, sei zu lang. Das sei für die Angeklagten nicht zumutbar, argumentierte das Landgericht.

Beschwerde der Staatsanwaltschaft

Die Staatsanwaltschaft Koblenz hatte gegen die Einstellung des Verfahrens Beschwerde eingelegt. Seitdem beschäftigten sich die Richter am Koblenzer Oberlandesgericht mit den umfangreichen Akten. Jetzt haben sie entschieden, dass das Verfahren am Landgericht wieder aufgenommen werden muss – allerdings vor einer anderen Kammer. Die schon jetzt sehr lange Verfahrensdauer sei kein Grund, den Prozess nicht zu Ende zu führen. Der Prozess habe vor allem deshalb so lange gedauert, weil die Verteidiger der Angeklagten das Verfahren mit Anträgen bewusst hinausgezögert hätten, sagte der Sprecher des Oberlandesgerichts, Christoph Syrbe.

Vorwurf der Sabotage

Die Staatsschutzkammer des Landgerichts hatte den Anwälten der Angeklagten vorgeworfen, den Prozess zu sabotieren und in die Länge zu ziehen. Es seien mehr als 500 Befangenheitsanträge, gut 240 Beweisanträge und mehr als 400 Anträge zum Verfahrensablauf gestellt worden, so Christoph Syrbe. Die Verteidiger hätten von ihren rechtsstaatlichen Möglichkeiten Gebrauch gemacht. Der Staatsanwaltschaft und der Staatsschutzkammer sei keine Verzögerung vorzuwerfen.

Anklagepunkte drohen zu verjähren

Das Verfahren beginnt also wieder bei Null, weil die neuen Richter ihr Urteil nur auf das stützen dürfen, was sie in der neuen Verhandlung hören. Die vergangenen fünf Prozessjahre sind also nicht mehr relevant für eine Entscheidung. Besonders interessant dürfte dabei sein, wie schnell der Prozess weitergeht. Denn viele der Anklagepunkte drohen nach und nach zu verjähren und könnten dann nicht mehr bestraft werden. Eine andere Frage ist allerdings bereits geklärt: Sollten die Angeklagten am Ende verurteilt werden, müssen sie auch für das bisherige Verfahren aufkommen.

Fast 1.000 Seiten Anklageschrift

Das ursprüngliche Verfahren hatte im Sommer 2012 gegen anfangs 26 Angeklagte begonnen, zuletzt waren es noch 17. Die fast 1.000-seitige Anklage lautete auf Bildung einer kriminellen Vereinigung, Körperverletzung und Sachbeschädigung. Die Vorwürfe reichten von Gewalt gegen Linke, wie etwa in Dresden, über einen unangemeldeten Aufmarsch mit Fackeln in Düsseldorf bis zu versuchten Brandanschlägen auf Autos.